Der kulinarische Januar auf Sardinien: Mirto, Mirto, Mirto!
von Nicole Raukamp - www.pecora-nera.eu
Winter auf Sardinien
Im Januar ist Winter auf Sardinien. Die kurzen Tage sind zwar oft sonnig, aber auch eisig kalt. Es ist frostig von den Bergen bis an die Küsten, oben fällt Schnee, unten herrscht der Wind aus atlantischen oder arktischen Regionen. Für die sardische Küche bedeutet das aber keinesfalls Ruhezeit. Im Januar wächst so einiges Gemüse (Artischocken, Substanzielles wie Karotten, Kohl aller Art, Kartoffeln und Kürbis; frische Salate wie Radicchio; aromatisches wie Zwiebeln, Fenchel, Porree und Selleriestangen. Auch Zitrusfrüchte haben jetzt Hochsaison, Orangen, Zitronen, Orangen im SchneeMandarinen, lassen sich auch von Schnee nicht schocken. Äpfel, Birnen, Kiwi ... Aber allen voran trägt im Januar vor allem der Mirtostrauch seine Früchte, aus denen der bei Sardinien-Urlaubern höchst beliebte sardische „Mirto rosso“, der rote Mirto gewonnen wird.
Mirto: rot und weiß, aus Früchten und Blättern
Der Mirto (Myrte / myrtus communis) ist hauptsächlich auf Sardinien und Korsika beheimatet und ist ein immergrüner Strauch, der bis zu rund 400 Höhenmetern wächst. Wild, unkultiviert und unbehandelt – was auch die Erzeugnisse daraus so gut macht. Myrte wird auf den beiden Inseln seit antiken Zeiten von den Einheimischen als vielseitige Nutzpflanze geschätzt und ist in quasi jeder Form verwendbar. Ob als Busch zum Landschaftsschutz gegen den strengen Wind oder die Zweige als Dekoration bei dörflichen Hochzeiten. Der Mirto gilt nämlich als Symbol der Liebe und mit Mirtozweigen wünscht man dem Brautpaar viel Glück. Auch als Heilpflanze in der Hausmedizin Mirto als Gewürzwird das in den Blättern des Mirtostrauchs befindliche ätherische Öl wird seit Jahrhunderten bei der Infektion der Atemwege eingesetzt. Zusammen mit Honig gekocht oder als Aufguss oder Tee aus den Blättern wirkt es entspannend, entzündungshemmend und schleimlösend. Seltener ist die Anwendung des Mirto für die Schönheit – die hübschen weißen Blüten geben aber einen sehr intensiven, eigenen Duft ab und werden für Parfüms und Cremes verwendet. Besonders gut ist der Mirto aber bei allem, was mit kulinarischen Genüssen zu tun hat:
Die dunkelgrünen, ovalen Blätter werden getrocknet und als leicht süßlich duftendes Gewürz für Fleischgerichte (allen voran das porcetto arrosto) und in einigen Regionen auch für Fisch verwendet.
Auch Salami wird zuweilen mit Mirto geräuchert – die „Salsiccia al Mirto“ hat einen ganz eigenen Geschmack.
Aus den Früchten, die etwa einen Zentimeter lang sind und deren Farbe zwischen leuchtendem violett und einem sehr dunklen blau rangiert, bereitet man Marmeladen und Konfitüren, die wiederum in Gebäck Verwendung finden.
Der weit größte Anteil an der Nutzung des Mirto ist aber der Likör, der von den Einheimischen traditionell im Januar gesammelt und hergestellt wird. Er wird nicht nur privat nach unzähligen Rezepten sondern in unterschiedlichen Qualitäten und Arten längst kommerziell produziert – und ist mittlerweile weltweit erhältlich. Wird Mirto heute zu geselligen Anlässen quasi bei jedem Abendessen und auch mal einfach so getrunken, war er in früheren Zeiten eher eine Medizin: In erster Linie fördert er die Verdauung. Mirto ist sowohl appetitanregend als auch verdauungsfördernd – ergo als Aperitif und Digestif gut einsetzbar.
Der „Mirto rosso“, der rote Mirto, wird aus den Früchten gewonnen. Die Hauptzutaten sind: reife Mirtofrüchte direkt vom Strauch, 90%-iger reiner Alkohol, Zucker und Wasser. Seine Herstellung und die richtige Mischung erfordern allerdings einiges Geschick und Übung, damit er weder nach Alkohol, noch nach Zucker, sondern intensiv nach Mirto schmeckt. Viele hausgemachte Mirtos sind aus diesem Grund richtig gut, mancher geht allerdings auch direkt in den Kopf.
Weitaus schwieriger ist die Herstellung des „Mirto bianco“. Der weiße Mirto gilt als feiner, handwerklich schwieriger, sein Alkoholgehalt ist geringer als der des roten. Mirto bianco wird entweder aus den Blättern und/oder Blüten gewonnen, manchmal aber auch nur aus den Blüten und den ganz jungen, noch farblosen Früchten. Die Qualitäts- und Geschmacksunterschiede sind groß und wer ihn als Likör trinken will, muss das Etikett genau studieren und probieren, was gefällt. In der Küche setzt man den Mirto bianco sehr gern für Fleischgerichte ein, die sehr intensiv nach Mirto schmecken sollen. Das Fleisch erwachsener Schafe soll durch weißen Mirto seinen leicht muffigen, talgigen Geschmack verlieren. Für gebratenes / gegrilltes Lamm sind die Blätter oder Früchte besser zur Aromatisierung geeignet.
Für den „Mirto verde“ (grüner Mirto) badet man die ganz jungen Blätter einige Tage in reinem Alkohol und verfeinert eher mit Honig als mit Zucker, um ihren zarten Geschmack nicht zu zerstören. Er ist in Spezialitätenläden oder auf Wochenmärkten auf Sardinien zu finden.
Tatsächlich gibt es auch einen „Mirto rosato“ – ein weißer Likör aus den Blättern der in Holzfässern eher wie ein Likörwein ausgebaut wird (ggf. auch leicht verschnitten mit rotem Mirto). Eine absolute Seltenheit und das exakte Rezept höchst geheim. Zu bekommen in den Sterne- (verdächtigen) Restaurants der Insel.
Noch seltener der „Mirto nieddu“ (nieddu ist sardisch für „schwarz“), für den nur die dunkelsten Früchte verwendet werden. Heute macht sich kaum jemand mehr die Mühe, ihn herzustellen.
Ganz pfiffige Sarden verwenden zur Herstellung ihres Mirto ihren selbst hergestellten Filu e’Ferru, den Trester und Grappa Sardiniens und verzichten (sofern die Frucht das hergibt) auf Zucker und verwenden Honig. Diese Formen des Mirto sind allerdings wirklich nur auf der Insel zu bekommen. Und auch dort nur in ganz kleinen Betrieben oder Agriturismi, und eigentlich behält man solche Schätze für Freunde und Familie zurück. Aber keine Sorge: Mirto, in welcher Form auch immer, gibt’s ganz gewiss. Nun aber noch schnell zurück zum Essen, denn im Januar wartet noch eine Besonderheit auf Sardinien:
Januar ist Spargelzeit!
Nein, gemeint ist nicht der weiße Feldspargel, den man aus der Pfalz, Baden oder Lüneburg kennt – und auch nicht der grüne Spargel aus Italien oder Griechenland. Sogar auf Sardinien wäre es jetzt gar nicht warm genug, dass er wachsen würde. Die Rede ist vom wilden Spargel / asparago selvatico. Grün ist er schon, aber ungleichmäßig gewachsener und dunkler und viel dünner als der kultivierte. Denn er wächst ausschließlich wild und unkultiviert und sicher nicht in Supermarkt-Einheitslänge. Er versteckt sich gut, ist quasi die langstänglige Blüte einer struppigen und sehr piekigen Pflanze und ist im Vorbeilaufen kaum wahrnehmbar. Auch die Einheimischen finden den wilden Spargel nur mit viel Glück und Können, und ihre Fundorte auf Wiesen und entlang der Nebenstraßen verraten sie nicht. Man muss also schon wissen, wie die Pflanze aussieht und viel Geduld mitbringen. Wenn du also in irgendeinem lokalen Supermarkt wilden grünen Spargel bekommst (er ist dünner,) oder gar auf einer saisonalen Speisekarte im Restaurant siehst: Greif zu, er ist eine Seltenheit. Der wilde, sardische Spargel ist herrlich aromatisch und eignet sich damit gut für eine Frittata, eine Art Omelett. Der Spargel braucht nicht viel – er ist ganz schlicht als Salat mit gutem Balsamico und sardischem Olivenöl einfach und gut. Auch als sanft angebratene Gemüse-Beilage zu einem guten Steak, oder aber auch in einer Polenta macht er sich bestens.
Buon Appetito! von: Nicole Raukamp